Projekt

Vaginalen Geburten zu fördern und zu ermöglichen ist ein wesentliches Teilziel im deutschen Nationalen Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ [1]. Wenn die Rate an vaginalen Geburten steigt, wird zugleich die Kaiserschnittrate gesenkt, die mit einer höheren mütterlichen und perinatalen Morbidität einhergeht und in Deutschland bundesweit höher liegt als die WHO empfiehlt.

Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern (europäischer Median: 25,2%) hat Deutschland eine der höchsten Kaiserschnittraten (2014: 32.9%), die Rate sekundärer Kaiserschnitte steht mit 15,9% an dritthöchster Stelle nach Rumänien und Malta [2].

Die Studie „Be-Up: Geburt aktiv“ soll mit Hilfe eines experimentellen Designs überprüfen, ob die Intervention „alternativ ausgestatteter Gebärraum“ einen eigenen Effekt auf den Geburtsmodus (vaginale Geburt) von Frauen am Geburtstermin sowie deren personenbezogene Outcomes (z.B. Interventionen, Komplikationen, Selbstbestimmung) hat.

Dazu gehörende Teilziele sind:

  1. Durch die Intervention „alternativ ausgestatteter Gebärraum“ sollen die Rate der vaginalen Geburten erhöht und die Rate der Kaiserschnitte gesenkt werden. Bei einer absoluten Erhöhung der baseline-Rate vaginaler Geburten um 5 % würden zusätzliche 21.062 Frauen in Deutschland jährlich eine vaginale Geburt erleben statt einen Kaiserschnitt zu bekommen, wenn man von bundesweit 421.241 vaginalen Geburten (bei Einlingen am Termin in Schädellage) ausgeht [3].
  2. Durch die Intervention „alternativ ausgestatteter Gebärraum“ haben Frauen leichter die Möglichkeit, während der Wehen und der Geburt verschiedene Körperpositionen einzunehmen, mobil zu sein und selbst darüber zu bestimmen, wie sie am besten Entspannung finden und den Wehenschmerz bewältigen können (Selbstbestimmung). Darüber hinaus kann die Begleitperson leichter in die aktive Unterstützung der Gebärenden eingebunden werden. Im Englischen bedeutet „BE-UP“ auch „Birth Environment and Upright Position“.
  3. Ein „alternativ ausgestatteter Gebärraum“ bietet Hebammen hilfreiche Materialien, um die Gebärende während der Geburtsphasen zu unterstützen und anzuleiten. Sie liegt nicht im (Standard-)Kreißbett, das außerhalb des Sichtbereichs der Gebärenden positioniert ist, sondern ist möglichst mobil und nimmt möglichst aufrechte Körperhaltungen ein. Die Literatur zeigt, dass so im Geburtsverlauf weniger (ggfs. unnötige) medizinische Interventionen angewendet werden.
  4. Eine selbstbestimmte und interventionsarme Geburt ermöglicht Frauen eine erhöhte Zufriedenheit mit ihrer Geburtserfahrung und langfristig eine positive Erinnerung an die Geburt. Auch eine positive Einstellung der Mutter zu ihrem Kind könnte dadurch begünstigt werden.
  5. Durch die gesundheitsökonomische Evaluation wird die relative Effizienz der Intervention aus Sicht der Krankenkassen und der Klientinnen (gebärenden Frauen) bestimmt. Diesbezüglich werden interventionsassoziierte und später entstehende Kosten (bis drei Monate nach der Geburt) berücksichtigt.

 

Strukturierende Überschrift?

Die Studie „Be-Up: Geburt aktiv“ ist eine konfirmatorische klinische Studie (active controlled superiority trial) und überprüft, ob die Intervention „alternativer Gebärraum“ einen eigenen Effekt auf den Geburtsmodus (vaginale Geburt) von Frauen am Geburtstermin sowie deren personenbezogene Outcomes (z.B. Interventionen, Komplikationen, Selbstbestimmung) hat. Sie zielt darauf ab, die gesundheitliche Versorgung von Frauen und ihren Neugeborenen rund um die Geburt zu verbessern. Durch die Senkung von medizinischen Interventionen während der Geburt und damit eventuell der durchschnittlichen Kaiserschnittrate können auch die mütterliche und perinatale Morbidität und das Risiko für einen Folge- Kaiserschnittes gesenkt werden.

 

Strukturierende Überschrift?

Bisher fehlen international und national Konfirmationsstudien, um den unabhängigen Effekt der Intervention „alternativer Gebärraum“ hinsichtlich des Gebärmodus zu belegen. Erbringt die Studie „Be-Up: Geburt aktiv“ den Nachweis dieses unabhängigen Effekts, hat diese wissenschaftliche Erkenntnis bzw. die Intervention ein hohes Potenzial, mit geringen Kosten und geringem Aufwand bundesweit in den geburtshilflichen Abteilungen der Kliniken umgesetzt zu werden (Translation/Implementation).

Die Intervention „alternativ gestalteter Gebärraum“ basiert auf der Techniksoziologie (H. Linde, B. Joerges) und dem Symbolischen Interaktionismus (G. Blumer), welche die Bedeutung der materiellen Umwelt für das menschliche Handeln beschreiben [4]: jedes Objekt in einem Raum hat eine inhärente symbolische Bedeutung und stimuliert menschliches Handeln dazu, dieses Objekt in einer ziemlich vorhersehbaren Weise zu nutzen [5]. Daher wurde die Hypothese generiert, dass die Gestaltung des Gebärraums das Verhalten der darin agierenden Personen (Gebärende, Begleitperson, Hebamme, ärztliches Personal) dahingehend beeinflusst, dass die vorgehaltenen Materialien ihre nutzenbezogene Anwendung finden, das nicht sichtbare/vorhandene Gebärbett nicht oder in geringerem Umfang genutzt wird und in der professionellen Betreuung während der Geburt der Selbstbestimmung der Frau ein größerer Raum eingeräumt wird. Der Wirksamkeitsnachweis der Intervention belegt die Gültigkeit der benannten Theorien auch im Handlungsfeld der Geburtshilfe/Hebammenbetreuung. Darüber hinaus weisen qualitative Forschungsarbeiten [15, 16,17] auf die Relevanz der Theorien hin, die der geplanten Studie „Be-Up: Geburt aktiv“ zu Grunde liegen. Diese stützen die Annahme, dass die geplante Intervention das Potenzial hat, positive Effekte zu zeigen.